Um das gesellschaftliche Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, ist auch die Wasserwirtschaft gefordert ihren Beitrag zu leisten. Mit dem DVGW-Merkblatt W 1006 wird den Wasserversorgungsunternehmen ein Einstieg in die Treibhausgasbilanzierung gegeben.
Es ist ein wichtiges Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen (THG) zu reduzieren, der mit der Bereitstellung von Trinkwasser verbunden ist. Dies kann durch Maßnahmen wie die Nutzung erneuerbarer Energiequellen für die Wasseraufbereitung, die Reduzierung von Emissionen bei der Wassergewinnung und -verteilung sowie die Implementierung effizienter Technologien erreicht werden. Es ist ein wichtiger Schritt, um dem Klimawandel zu begegnen und die Umweltauswirkungen der Wasserversorgung zu minimieren.
Spätestens mit dem politischen Bekenntnis zu den nationalen Klimazielen und dessen Erneuerung durch die Energieeffizienzstrategie 2050 (EffSTRA 2050) sind der Umwelt- und Klimaschutz in Deutschland in den Fokus der Wirtschaft und des allgemeinen öffentlichen Interesses gerückt. Aufgrund des gestiegenen öffentlichen Interesses und einer ebenso hohen intrinsischen Motivation sehen sich auch Unternehmen der Wasserversorgung immer stärker veranlasst, sich intensiv mit den Themen Energieeinsparung, dem Ausbau erneuerbarer Energien, Erhöhung der Energieeffizienz und der Senkung schädlicher THG-Emissionen bis hin zur THG-Neutralität auseinanderzusetzen. Gleichzeitig muss dabei der Schutz der Trinkwasserressourcen sowie die Sicherheit der Wasserversorgung ohne Einschränkung garantiert bleiben.
Zu den weiteren Maßnahmen zur Erreichung von Klimaneutralität in der Wasserversorgung gehören die Optimierung des Wasserverbrauchs, die Förderung von Wassereffizienz in Industrie und Landwirtschaft, die Wiederverwendung von Abwasser sowie die Implementierung von naturnahen Lösungen zur Wasserrückhaltung und -reinigung. Durch eine ganzheitliche Herangehensweise können Wasserversorger dazu beitragen, ihre THG-Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig eine nachhaltige und klimafreundliche Wasserversorgung zu gewährleisten.
Deutschlandweit wurden mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes vom April 2021 die Ziele der Bundesregierung in Bezug auf die THG-Emissionen verschärft. Gegenüber dem Jahr 1990 soll bis 2030 eine Minderung der THG-Emissionen um 65% erzielt werden, bis 2040 um 88%. Im Jahre 2045 soll die Netto-Treibhausgasneutralität, d.h. das Gleichgewicht zwischen THG-Emissionen und deren Abbau, erreicht werden. Ab 2050 ist das Ziel der negativen THG-Emissionen formuliert. Gemäß ihrer internationalen Verpflichtung erstellt die Bundesregierung jährlich einen Klimaschutzbericht über die verursachten THG-Emissionen. Gemäß Klimaschutzprogramm 2023 der Bundesregierung soll ein „Bundesprogramm klimabezogene Maßnahmen in der Wasserwirtschaft und Gewässerentwicklung“ eingerichtet werden.
Im Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) ist die Umsetzung der europäischen Richtlinie EU ETS in Deutschland geregelt. Zweck dieses Gesetzes ist es, für Tätigkeiten, durch die in besonderem Maße Treibhausgase emittiert werden (z. B. Großindustrie, Energiewirtschaft, Luftverkehr), die Grundlagen für den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen in einem gemeinschaftsweiten Emissionshandelssystem zu schaffen. Für die Wasserwirtschaft ist eine Kompensation von THG-Emissionen nicht verpflichtend. Bislang werden Bilanzen und Strategien auf freiwilliger Basis erstellt und verfolgen das Ziel, die eigene Klimabilanz zu verbessern. Nur eine sehr geringe Anzahl der rund 6000 Wasserversorgungsunternehmen in Deutschland hat bisher eine Dekarbonisierungsstrategie für das Unternehmen erstellt. Zudem ist ein einheitlicher Ansatz zur Bilanzierung und Deklaration von THG-Neutralität bisher nicht gegeben, sodass unterschiedliche Wasserversorgungsunternehmen den Begriff klimaneutral teils auch sehr unterschiedlich interpretieren oder zumindest in ihrer Außenkommunikation abweichend verwenden.
Je nach Unternehmensgröße tritt ab dem Jahre 2025 bzw. 2026 für Unternehmen eine Berichtspflicht im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Kraft, womit die Berichterstattung über Nachhaltigkeit, und damit auch nach ESRS E1 (Klimawandel) die Angabepflichten in Bezug auf die sieben Treibhausgase, ein integraler Bestandteil des Lageberichts im Jahresabschluss und damit auch prüfpflichtig wird.
Im April 2023 wurde zudem das Energieeffizienzgesetz (EnEfG), welches die Energieeffizienzrichtlinie der EU ins nationale Recht überführt, durch das Bundeskabinett verabschiedet. Dieses Gesetz verpflichtet Unternehmen mit einem Energieverbrauch von mehr als 7,5 GWh u.a. dazu, ein Energie- oder Umweltmanagementsystem (ISO 50001 oder EMAS) einzuführen.
Als Vorarbeit für das DVGW-Merkblatt W 1006 wurde im Rahmen des DVGW-Zukunftsprogramm Wasser das Forschungsprojekt CARB(H2O)N durchgeführt, in welchem der aktuelle Wissensstand im Bereich der THG-Bilanzierung zielgerichtet aufbereitet wurde, um die Entwicklung einer standardisierten Vorgehensweise zur kennzahlenbasierten Ermittlung der Emissionen der Wasserversorgung zu unterstützen.
Die Untersuchungen im Rahmen des Forschungsprojekts haben aufgezeigt, dass vor dem Hintergrund einer einwandfreien Trinkwasserqualität auch zukünftig energieintensive Aufbereitungsstufen wie Aktivkohle- oder Membranfiltration sowie Entgasungsverfahren (direkte Emissionen) unverzichtbar sein werden. Eine klimaneutrale Trinkwasserproduktion ist deshalb für viele Versorger mittelfristig nur mit erheblichen finanziellen wie zeitlichen Anstrengungen zu erreichen. Für einzelne Versorger ist dieses Ziel mittelfristig möglicherweise auch gar nicht umsetzbar.
Das Ziel der Wasserversorgung sollte sein, ein Klimamanagementsystem zu etablieren, welches Quellen von THG-Emissionen sichtbar macht, um diese in einem nächsten Schritt gezielt reduzieren zu können. Der im Rahmen des Vorhabens erarbeitete Gliederungsvorschlag für eine Handreichung zur Ermittlung der THG-Emissionen von Wasserversorgungsunternehmen kann hierfür als Ausgangspunkt dienen.
Insgesamt ist die Erfassung und das Management der Klimawirkung von Unternehmen noch nicht einheitlich geregelt. Für viele kleine und mittelständische Unternehmen der Wasserversorgung wird eine solche aktive Auseinandersetzung mit dem Thema weiterhin auf Freiwilligkeit beruhen. Eine externe Prüfung durch eine unabhängige Stelle ist derzeit ebenfalls noch keine Pflicht, sie erhöht allerdings die Glaubwürdigkeit von THG-Bilanzen.
Das neu erschienene DVGW-Merkblatt W 1006 dient als Grundlage für die einheitliche Bilanzierung von THG-Emissionen in der Wasserversorgung. Es dient als Leitfaden für die einheitliche Berechnung und Bilanzierung der direkten und indirekten Emissionen nach Scope 1, 2 und 3 gemäß GHG (Greenhouse Gas Protocol). Das Merkblatt enthält eine Zusammenstellung der erforderlichen Wissensgrundlagen zur Entwicklung einer branchenspezifisch einheitlichen Vorgehensweise zur vollständigen, kennzahlenbasierten Ermittlung der Emissionen der Wasserversorgung. Neben der methodischen Beschreibung werden auch Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen genannt. Im Anhang ist die Bilanzierung eines beispielhaften Wasserversorgers dargestellt. Im Online-Regelwerk kann ein Musterformular zur Berechnung abgerufen werden (unter "Zusatzinfos").
Eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen Wasserversorgungsunternehmen hat parallel zu den Aktivitäten des DVGW einen Leitfaden zur Bilanzierung von Scope 3-Emissionen erstellt. Auf der Website von Hansewasser finden Sie die Handreichung zur Berechnung und Berichterstattung für die Wasserwirtschaft sowie viele weitere nützliche Hinweise und Dokumente, auf die sich das DVGW-Merkblatt W 1006 teilweise bezieht.
Am 10. Oktober 2024 hat ein kostenloses "Lunch & Learn" des DVGW zum Thema "Treibhausgasemissionen in der Trinkwasserversorgung" stattgefunden. Weitere Informationen finden Sie auf der Website DVGW-Eventreihe Trinkwasser. Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier:
Langfristig ist geplant, ein FAQ zum Thema Klimaneutralität zu erstellen. Senden Sie uns gerne Ihre Fragen in Bezug auf die Thematik und das Regelwerk. In regelmäßigen Abständen wird der Projektkreis des Merkblatts die Fragen beantworten und anschließend auf diese Website stellen.