Die Bedeutung der Gasverteilnetze für Industrie- und Gewerbestandorte
Industrie und Gewerbe in Deutschland benötigen klimaneutrale Gase für ihre Produktionsprozesse. Über die vorhandenen Gasverteilnetze können sie flächendeckend damit versorgt werden.
In Deutschland existiert ein flächendeckendes Gasleitungsnetz mit einer Gesamtlänge von fast 600.000 Kilometern. Dieses besteht aus Fernleitungen mit rund 40.000 Kilometern sowie dem Verteilnetz mit etwa 555.000 Kilometern, über das aktuell jeder Landkreis mit Erdgas versorgt wird. Ein Großteil der via Erdgas zur Verfügung gestellten Energiemenge wird in der Industrie und dem produzierenden Gewerbe unter anderem für die Erzeugung von Prozesswärme gebraucht. Dieser Bedarf erreichte in den vergangenen Jahren um die 200 TWh. Das entspricht fast einem Zehntel des aktuellen Endenergiebedarfs und einem Fünftel des Gasbedarfs in Deutschland.
Um den aktuellen Gasbedarf für die Erzeugung von industrieller und gewerblicher Prozesswärme zu beziffern, hat das DBI Gastechnologische Institut die entsprechenden Branchen und Gasabnehmer standortgenau analysiert. Über eine Entfernungsanalyse der Industrie- und Gewerbestandorte wurde dann ermittelt, welche aktuell an das Gasfernleitungs- bzw. -verteilnetz angeschlossen sind und ob sich diese Standorte durch das geplante H2-Kernnetz versorgen lassen. Aufbauend auf diesen Daten hat DMT Energy Engineers, eine Tochter des TÜV Nord, die regionale Verteilung der betroffenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ermittelt. Dies dient als Indikator dafür, wie sich ein Energieträgerwechsel und eine mögliche Versorgungslücke auf die Wirtschaftskraft der Standorte auswirken kann.
Innerhalb der Kurzstudie wurden 5.616 Industriestandorte erfasst, welche in Summe einen modellierten gasbasierten Prozesswärmebedarf von 192 TWh haben. Größere Cluster an Industriestandorten befinden sich dabei vor allem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen und Baden-Württemberg.
Die größten Energieabnehmer zählen zu den Branchen der chemischen Industrie, Metallurgie sowie Metallindustrie. Diese nutzen zusammen mehr als 70 Prozent des Gasbedarfs für Prozesswärme, machen aber nur ein Viertel aller Industriestandorte aus. Weitere Branchen sind die Papier- und Holzverarbeitung, die Glasherstellung sowie die Zement-, Kalk- und Gipsindustrie. Hinzu kommen weitere Standorte kleinerer Industriezweige.
Ebenfalls betroffen sind gewerbliche Unternehmen, welche nicht zum Verkaufs- und Dienstleistungsgewerbe gehören. Hier besteht ebenfalls ein Prozesswärmebedarf, der zwar deutlich geringer als bei den großen Industriestandorten ausfällt, aber mit über einer Million Standorten flächendeckend in Deutschland verteilt ist. In Summe beträgt der modellierte Gasbedarf für Prozesswärme für diese Standorte des sonstigen verarbeitenden Gewerbes 12 TWh.
Der Anteil der Wärme, die für bestimmte technische Verfahren und Prozesse zur Herstellung, Weiterverarbeitung oder Veredelung von Produkten genutzt wird, bezeichnet man als Prozesswärme. Dabei werden Temperaturen zwischen 100 und 1.500 °C erzeugt. Prozesswärme macht einen wesentlichen Anteil am industriellen Energieverbrauch aus und wird zum Großteil aus fossilen Energieträgern bereitgestellt. Rund zwei Drittel dieser Wärme werden aktuell aus der Verbrennung von Kohle, Mineralöl und Erdgas gewonnen und müssen in den kommenden Jahrzehnten auf klimaneutrale Energiequellen umgestellt werden. Die Elektrifizierung einzelner Anwendungen ist bereits möglich, aber verbunden mit hohen technischen Hürden. Denn in vielen industriellen Prozessen sind konstant hohe Temperaturen von bis zu über 1000 °C erforderlich.
Insbesondere bei Produktionsprozessen mit Temperaturen über 500 °C – wie zum Beispiel in der Glas-, Kalk- und Zementindustrie – ist eine Elektrifizierung schwierig. Neben dem geringen Technologiereifegrad von strombasierten Lösungen in einigen Branchen stellen auch hohe Investitionskosten für die Umrüstung auf Strom eine Herausforderung dar.
Gerade die gasbasierte Erzeugung von Prozesswärme ist eine gute Alternative und Lösungsoption. Nach Angaben der internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) wird die Verwendung von Wasserstoff eine ebenso wichtige Rolle spielen bei der klimaneutralen Umgestaltung von Industrieprozessen. Demnach könnte bis zum Jahr 2050 rund ein Fünftel des industriellen Energiebedarfs weltweit durch Wasserstoff gedeckt werden.
Es lassen sich Betriebe, die heute Erdgas aus dem Verteilnetz für ihre Prozesswärme beziehen, auf elektrische Systeme oder Verfahren umstellen. Prozessbedingt ist dies aber nicht in jeder Branche möglich. Bei einem Wegfall der Gasversorgung wären diese gezwungen, ihre Produktion einzustellen, was sich auf die Wirtschaftskraft von Industrie- und Gewerbestandorten und der betroffenen Landkreise und Kommunen auswirken würde. Um die Ausmaße abzuschätzen, wurde im Rahmen dieser Kurzstudie ein detaillierter Blick auf die Beschäftigtenzahlen derjenigen Branchen geworfen, die Erdgas für Prozesswärme nutzen. Nach dieser Betrachtung betrifft dies rund 770.000 Arbeitsplätze; das sind etwa 10 Prozent der Beschäftigten im erarbeitenden Gewerbe. Durch die heterogene Branchenmischung sind die Betriebe und Arbeitsplätze geografisch breit gestreut und betreffen sowohl ländliche Gebiete im südlichen Mecklenburg-Vorpommern als auch städtische Ballungsräume wie München, Berlin oder Hamburg.
Schwerpunkte in Süd- und Westdeutschland
Die zehn Landkreise mit den meisten Arbeitsplätzen in den untersuchten Branchen liegen vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Bei den süddeutschen Landkreisen fällt insbesondere auf, dass sich die Beschäftigten oft auf eine Branche konzentrieren und andere Wirtschaftszweige weniger beitragen. Ein Beispiel dafür ist Spitzenreiter München, wo 95 Prozent der 56.370 entsprechenden Arbeitsplätze der Automobilfertigung zuzuordnen sind. Andere Landkreise in Baden-Württemberg wie Esslingen oder Rastatt zeigen ein ähnliches Bild: Auch dort findet sich ein Großteil der Arbeitsplätze in der Fertigung von Kraftfahrzeugteilen, was wiederum zu hohen Abhängigkeiten von dieser Branche beiträgt.
In den Landkreisen im Westen Deutschlands sind die Arbeitsplätze diverser und auf unterschiedliche Branchen verteilt. Hier sind es vor allem metallverarbeitende Betriebe (z. B. Märkischer Kreis, Rhein-Kreis Neuss), dennoch zeigt der geringere Anteil der stärksten Branche an der Gesamtzahl, dass auch andere H2-benötigende Branchen hier ansässig sind.
Klimaneutrale Gase bleiben notwendig
Prozessbedingt kann nicht jede Branche ihre Verfahren auf Elektrizität umrüsten. Diese Betriebe werden weiterhin auf gasförmige Energieträger und zukünftig auf Wasserstoff angewiesen sein, um klimaneutral zu werden. Dafür brauchen sie eine entsprechende Infrastruktur, die sie mit klimafreundlichen Gasen versorgen kann. Perspektivisch sollen große Industriestandorte über das geplante Kernnetz, bestehend aus 9.700 Kilometern Transportleitungen, mit Wasserstoff (H2) versorgt werden. Allerdings beziehen viele Industrie- und Gewerbestandorte und insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen ihre Energie für Prozesswärme aktuell über das Gasverteilnetz.
Wasserstoff-Kernnetz allein reicht für Versorgung nicht aus
Ein Großteil dieser Standorte wird aufgrund ihrer Entfernung perspektivisch nicht direkt an das Kernnetz angeschlossen. Dabei handelt es sich um Betriebe, die im deutschen Wirtschaftsgefüge eine tragende Rolle für Innovationskraft und Produktivität spielen und denen schnell und einfach der Zugang zu klimaneutraler Energie ermöglicht werden sollte, zum Beispiel über ein H2-Verteilnetz. Die Entfernungsanalyse zeigt: Ein Großteil der Standorte mit einem summierten Gasbedarf für Prozesswärme von rund 160 TWh liegt über einen Kilometer vom geplanten H2-Kernnetz entfernt und dürfte somit auf ein H2-Verteilnetz angewiesen sein. Das entspricht 78 Prozent des aktuellen prozessbedingten Gasbedarfs. Werden für die Entfernungsanalyse zum H2-Kernnetz nur die Standorte der chemischen Industrie betrachtet, die potenziell jetzt schon Wasserstoffbedarf zur Erzeugung von Prozesswärme haben, so liegen fast drei Viertel mehr als einen Kilometer vom H2-Kernnetz entfernt und müssten über ein H2-Verteilnetz versorgt werden. Somit ist diese Branche zwar etwas besser an das H2-Kernnetz angebunden. Es gibt jedoch trotzdem noch hohe Gasbedarfe, die nicht direkt darüber abgedeckt werden können.
Gasverteilnetz versorgt jeden deutschen Landkreis mit Gas für Prozesswärme
Aufgrund der hohen Anzahl von Standorten wurden die modellierten Gasbedarfe für Prozesswärme des sonstigen verarbeitenden Gewerbes auf Landkreisebene zusammengefasst. Die Analyse ergab: In jedem Landkreis wird aktuell Erdgas für diesen Zweck benötigt. Der Bedarf muss dabei vorwiegend vom Verteilnetz abgedeckt werden, denn 93 Prozent der Standorte und 11 TWh des Gasbedarfs liegen weiter als einen Kilometer vom geplanten H2-Kernnetz entfernt. Diese Standorte müssten dann über ein H2-Verteilnetz versorgt werden.
Zukünftige Wasserstoffinfrastruktur setzt sich aus Kern- und Verteilnnetz zusammen
In der Vergangenheit wurde auf politischer Ebene bereits häufiger die teilweise Stilllegung der Gasverteilnetze diskutiert, aufgrund einer weitreichenden Elektrifizierung im Wärmesektor. Inzwischen werden sie in der öffentlichen Wahrnehmung aber zunehmend als wichtiger Teil der Energieinfrastruktur und als unverzichtbarer Energielieferant für deutsche Industrieunternehmen erkannt. Das Kernnetz wäre in diesem Sinne als Startpunkt der zukünftigen H2-Infrastruktur zu sehen, die kontinuierlich ausgebaut wird und weite Teile der Verteilnetzinfrastruktur mit dem Wasserstoffangebot verbindet.
Die Ergebnisse der Kurzstudie zeigen, dass die Gasverteilnetze relevant sind für die Erzeugung industrieller Prozesswärme, den Erhalt zahlreicher Industrie- und Gewerbestandorte sowie die Sicherstellung der damit verbundenen Arbeitsplätze und der Wirtschaftskraft vieler Regionen Deutschlands.
Heute
In Zukunft
Um ausreichend klimaneutrale Energie für die benötigte Prozesswärme sicherzustellen, sind vier Dinge essenziell: